Memento Mori DVD

Die offizielle Fortsetzung zum koreanischen Horrorhit „Whispering Corridors“ (1998) war eine der ganz großen Überraschungen 1999 und avancieret innerhalb kürzester Zeit dank betörenden Bilderflut, einer beängstigend schönen Atmosphäre und innovativ erzählter Story zum Kult. Mit neuer Besetzung, zwei neuen Regisseuren sowie einer gänzlich neuen Story ist die Verwandtschaft zum ersten Teil ist aber nur dem Namen nach eine solche. Als Hauptdarstellerinnen standen zum ersten Mal Lee Young-jin, Park Eh-jin und Kim Min-sun vor der Kamera, die mit einfühlsamen Spiel überzeugende Portraits dreier von Liebe und Leid geplagter Schülerinnen abliefern.

Manchmal beinhalten Tagebücher Geheimnisse, die besser verborgen bleiben sollten! „Memento Mori“ (aus dem lateinischen übersetzt: Gedenke des Todes) erzählt die Geschichte der zwei Schülerinnen Hyo-shin (Lee Young-jin) und Shi-eun (Park –Eh-jin) einer Mädchenschule. Beide sind beste Freundinnen und mehr als das. Zwischen Beiden erblüht eine zerbrechliche Lieben, die heftig von Seiten der Lehrerschaft und ihrer Mitschüler attackiert wird. Als Hyo-shin Selbstmord begeht, häufen sich seltsame Vorgänge und eine übernatürliche, entfesselte Macht spukt durch die dunklen Ecken, verborgenen Verstecke und verlassenen Gänge der Schule. Als Min-ah (Kim Min-sun), eine Freundin Shi-euns das gemeinsam geführte Tagebuch der Liebenden findet, offenbart sich ihre die ganze, erschreckende Wahrheit.

Den beiden Regieneulingen Kim Tae-yong und Min Kyu-dong ist mit ihrem Erstlingswerk etwas scheinbar unmögliches geglückt – Die nahezu perfekte Symbiose aus lebensnaher Charakterstudie und übernatürlichem Horrorfilm! Die geschickte Gradwanderung zwischen einer dem Dokumentarfilm angelegtem Erzählweise und der kunstvollen Verfremdung alltäglichen Wahnsinns machen „Memento Mori“ zu einem außerordentlichen Stück Arthousekino, das ohne Missbrauch typischer Genreklischees das Horrorgenre völlig neu definiert. Was auf den ersten Blick als amüsante und zügellose Spielerei hormongesteuerter Teenies anmutet, offenbart sich schon bald als emotionale und psychologische Momentaufnahme dreier Teenager, deren Leben aus den Fugen gerät. Der Genremix aus Teenagerdrama und Horrorflick umschifft dabei gekonnt und glaubwürdig die scheinbar unüberbrückbare Divergenz zwischen Realität und einer auf Ästhetik getrimmten Filmkunst, die letztlich fast immer als fiktiv oder realitätsfremd empfunden wird.

„Memento Mori“ ist unmittelbar und in seiner hemmungslosen Offenheit der Emotionen genauso erschreckend wie zugleich faszinierend. Der Film beschreibt eindrucksvoll was es bedeutet als Teenager in einer von Reglements dominierten Welt zu leben, in der kein Platz mehr für kindische Träumereien und kindliche Unschuld ist und die Hormone ungefragt auf Achterbahnfahrt gehen. Die zentralen Themata sind demnach klar definiert: Liebe, das Erwachen der Sexualität, Zurückweisung, Rache. „Memento Mori“ erteilt morbide Lehrstunden über das Erwachsenwerden. Die Teeanger sind komplexe Kreaturen, Opfer ihrer durchdrehenden Hormone und sterben jeden Tag tausend Tode. Die Schule als Symbol institutioneller Formen der Hierarchie, des Gehorsams und der Rivalität wird zum Gefängnis der aufbrausenden Gefühle. Mit jeder hingabevoll gestaltete Seite des im Films gelesenen Tagebuchs werden die tiefsten Geheimnisse und Einblicke in ein von Selbstzweifeln, Ängsten und Liebe geplagtes Gefühlsleben offenbart und der Zuseher wird mehr und mehr in einen Strudel aus Rückblenden, Offenbarungen und Rache gezogen. Manchmal sind Liebe und Hass stärker als die Barriere zwischen Leben und Tod und eine verschmähte Liebe fordert ihr Recht auf Rache. Oder spielt sich im Zuge der Trauer und des durch den Suizid verursachten Schocks doch alles nur in den Köpfen der Mädchen ab? Der Film gibt keine Antwort.

„Memento Mori“ enthielt ursprünglich starke homosexuelle Anspielungen in der Beziehung zwischen Hyo-shin und Shi-eun, was bei den hiesigen Zensoren aber auf wenig Zustimmung stieß. Gleichgeschlechtliche Liebe ist in Korea immer noch ein großes Tabuthema und so fielen einige, explizitere Szene der Zensurschere zum Opfer. Doch auch ohne diese Szenen ist ihre Beziehung klar definiert und unmissverständlich.

Das Gefühlschaos der Charaktere spiegelt sich auch in der nonlinearen Zeitstruktur des Filmes wieder. Wenn die Gefühle Kopf stehen, verlieren Raum und Zeit ihre Gültigkeit und so springt der Film im Herzschlag seiner Protagonisten zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Die Konstruktion der Handlung folgt demnach keiner logischen oder klar nachzuvollziehende Geschichte, sonder liefert vielmehr eine flüchtige Momentaufnahme aus dem Leben dieser Teenager.

Die Komplexität der Story findet ihre visuelle Entsprechung in der erdrückenden Flut massiver Bildsymbolik. Die sorgfältige Komposition der oft an einen Dokumentarfilm erinnernden, immer leicht wankenden Bilder sorgt für Nähe und Unmittelbarkeit zum Geschehen, während sich die visuelle Einzigartigkeit des Films auf eine Vielzahl filmischer Verfremdungstechniken stützt. Kontrast, Licht und Farbe verschwimmen zu einer betörenden Symphonie visueller Dichtkunst, die in Kombination mit der sakralen Musik aus besinnlichen Klavierklängen und pompöser Chormusik ihren formalen Höhepunkt findet. Ein Fortissimo der Ästhetik!

Unkonventionell für ein Teenagerdrama und höchst innovativ für einen Horrorfilm erweist sich „Memento Mori“ als vielschichtiges Kunstwerk, das ein mittlerweile kläglich ver- und missbrauchtes Genre auf den Kopf stellt und unter Verzicht vordergründige Schocks und Blutbäder in elegischen Bildern und einer Atmosphäre morbider Schönheit schwelgt. Unheimlich, melancholisch, surreal und von erschreckender Emotionalität - „Memento Mori“ ist so berauschend, anziehend und empörend wie das heimliche Verschlingen ein gestohlenes Tagebuches, das mit persönlichen, dunklen Geheimnissen lockt und süchtig macht. Ein phänomenaler Film, der auf jeden Fall eine Entdeckung lohnt und letztlich doch als eindrucksvoller Beweis für ein florierendes, koreanisches Kino fungiert, das mit Lebendigkeit, ungezwungener Kreativität und Experimentierfreudigkeit immer wieder für willkommene Überraschungen gut ist. Virtuose Filmkunst!